Lausch-Angriff auf Hülkenberg

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BILD in der Haas-Garage
Lausch-Angriff auf Hülkenberg


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Die ganze Wahrheit erfährt man nicht im Fernsehen. Bei der Formel 1 werden nur ausgewählte Funksprüche aus Rennen und Qualifying übertragen. Wie die komplette Kommunikation zwischen Fahrer und Renningenieur wirklich klingt, erfahren Sie hier. BILD durfte vor dem Großen Preis in Singapur exklusiv das Qualifying von Nico Hülkenberg (36) in der Haas-Garage begleiten und den Funk mithören. Und erklärt, wie mit möglichst wenig Worten ein möglichst gutes Ergebnis erzielt wird

Singapur. Samstag, kurz vor 21 Uhr. Haas-Garage. 30 Grad und 78 Prozent Luftfeuchtigkeit.

Renningenieur Gary Gannon (46) steht am Garagen-Kommandostand, Hülkenberg sitzt schon im Auto. Normalerweise beginnen Hülkenberg und Gannon ihre Sessions immer mit: „Hi Gary“ – „Hi Nico“. Vor der Qualifikation zum Großen Preis von Singapur aber nicht. Denn der Renningenieur kann Hülkenberg nicht hören.

Nur noch wenige Minuten, bis Hülkenberg auf die Strecke soll. Gannon funkt ruhig und besonnen: „Ich kann dich nicht hören, aber ich glaube, du kannst mich hören.“ Keine Antwort. Zumindest nicht im Funk. Gannon: „Weiter nur Rauschen.“

Also schnell Helmtausch, in dem Mikrofon und Kopfhörer eingebaut sind. Hilft! Hülkenberg ist zu hören. Für genau solche Notfälle steht immer ein Ersatz bereit. Und es wird das einzige Verständigungsproblem des Abends bleiben.

Um 20.57 Uhr Ortszeit gibt Gannon die Order: Motor anlassen und rausfahren. Noch drei Minuten bis zum Beginn der Session, Hülkenberg steht Schlange am Ende der Boxengasse. Gannon zählt runter: „Noch anderthalb Minuten … Anlassen in 20 Sekunden. 4, 3, 2, 1, grünes Licht. Achtung, die Strecke könnte noch etwas schmutzig sein.“

Gannon steht mitten in der Garage vor mehreren Bildschirmen, drückt ein Knöpfchen darunter, um mit seinem Fahrer zu sprechen. Er führt Hülkenberg akustisch durch die ersten Kurven, beschreibt ihm, welche Autos wie weit vor und wie weit hinter ihm sind. Das sind meist einfache Zahlen: „4…5…“ Bedeutet: Sekunden. Die angestrebte Lücke zum nächsten Auto sind sechs Sekunden.

Gannon sieht die Positionen der anderen Piloten auf seinen Datenmonitoren. Der Mann in Hülkenbergs Ohr ist gleichzeitig ein weiteres Paar Augen, das dem Piloten beschreibt, was er im Cockpit nicht sehen kann. Klare und zielorientierte Kommunikation ohne viel Schnickschnack. Mit dem Ziel, eine möglichst gute Position fürs Rennen herauszufahren.

Hülkenberg zu BILD: „Ich habe eine sehr, sehr gute Beziehung zu Gary. Wir sind in vielen Belangen auf einer Wellenlänge, funktionieren sehr gut zusammen. Er kommuniziert sehr klar und direkt.“ Meist wird über Funk, der hier und da mal ruckelt, in ganzen Sätzen kommuniziert. Fragen werden in der Antwort aufgegriffen. So ist es einfacher zu verstehen, auch wenn es mal hektisch wird und der Empfang schlecht.

Hülkenberg: „Viele Renningenieure sind gut mit dem Auto und im Set-up, aber nur wenige verstehen die Kommunikation und das Timing so gut, dem Fahrer die richtigen Dinge im richtigen Moment zu sagen, den Fahrer zu führen.“ Das bedeutet manchmal auch schweigen, wenn es nichts Neues gibt. Seine Runden fährt Hülkenberg meist in Stille – voller Fokus aufs Fahren.

Dann der Reifenwechsel in der ersten Session. Alle in der Mechaniker-Crew hören jetzt auf Gannons Kommando. Er hebt die Hand. Heißt: warten. Dann senkt er die Hand kurz, zeigt den Daumen hoch. Bedeutet: Reifendecken ab, Motor an und raus aus der Garage. Hülkenberg spricht wenig am Funk, fragt hin und wieder nach: „Wer ist vor mir?“

Auf der schnellen Runde dann wieder Stille. Anspannung in der Garage. Die Mechaniker schauen auf Monitoren zu, die das Weltsignal und eine Timing-Page zeigen. Hülkenberg ist Zweiter vor seinem Kollegen Kevin Magnussen (30). Obwohl noch gefahren wird, ist klar: Die Haas sind definitiv weiter. Applaus in der Garage. Und dann der Schock – Lance Stroll im Aston Martin hat einen heftigen Unfall. Gannon funkt: „Er ist ausgestiegen, er ist okay.“ Erleichterung.

Eine halbe Stunde Unterbrechung für die Bergung des Autos und die Reparatur an den Barrieren, ehe Gannon wieder seinen Daumen hebt und Hülkenberg aus der Box lässt. Ende der zweiten Session wieder Jubel: Hülkenberg ist Sechster, Magnussen Vierter. Und beide Red Bull raus. Sensation!

Dritte Session. „Die Lücke ist bei 6 Sekunden… 7... Keine Bedrohung hinter dir. Und denk dran: pushen“, spornt Gannon Hülkenberg an. Stille. Und dann wieder Jubel: Magnussen startet als Sechster, Hülkenberg geht als Neunter ins Rennen. Eine Top-Leistung. Teamchef Günther Steiner (58), der sich selten am Funk dazuschaltet, lobt und ruft: „Bringt Punkte nach Hause, Jungs!“

Erst als die Autos im Parc Fermé (ein abgetrennter Bereich, in dem die Autos unter der Aufsicht der Rennleitung bleiben) eintreffen, und auf den Bildschirmen Pole Setter Carlos Sainz Glückwünsche empfängt, scheint die Spannung von Gannon abzufallen. Bis zur nächsten Session, durch die er seinen Fahrer führt.

Am Sonntag im Rennen können die Haas-Piloten die gute Ausgangsposition nicht nutzen: Magnussen holt beim Sieg von Carlos Sainz (29/Ferrari) als Zehnter immerhin einen Punkt – Hülkenberg kommt auf Platz 13 ins Ziel.

Bild Zeitung
 
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