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- Out 5, 2021
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Kolumne „Meine Bayern“
Warum ich mich bei Kane entschuldigen muss
„Meine Bayern“ heißt die Kolumne von SPORT BILD-Reporter-Legende Raimund Hinko, die sich mit dem deutschen Rekordmeister befasst. Hinko begleitet den FC Bayern seit Jahrzehnten.
Lieber Harry Kane,
nun muss ich zuallererst raus mit der Sprache. Ich bilde mir grundsätzlich ein, einen Fußballer schon nach zwei, drei Ballkontakten beurteilen zu können. Ich war und bin Fan von leichtfüßig dribbelnden Spielern, die den Ball nicht quälen, sondern streicheln, Fußballer vom Typ Mehmet Scholl, Kaká, Lionel Messi oder Jamal Musiala. Dich, das muss ich offen zugeben, habe ich in Deiner Zeit bei Tottenham Hotspur zur Sorte der Ball-Quäler gezählt. Dafür muss ich mich, sorry, sorry lieber Harry, gleich doppelt und dreifach entschuldigen, mich stattdessen tief verbeugen.
Du hast es nach Deinem sensationellen Einstand mit unglaublichen 21 Toren in den 15 Hinrundenspielen der Bayern geschafft, in die Herzen der deutschen Fans zu stürmen. Du bist auf bestem Wege, den Rekord der legendären Bayern-Torjäger Gerd Müller aus der Saison 1971/72 mit 40 Toren und Robert Lewandowski mit 41 aus der Saison 2020/21 zu pulverisieren. Und Du bist nicht nur der Mann, der den Ball aus zwei, drei Metern über die Linie drückt. Gegen Darmstadt hast Du von der Mittellinie getroffen, zuletzt in Wolfsburg den Ball aus 18 Metern in den Winkel gezirkelt. Also von wegen nur Tore, die auch meine Oma machen würde, wie ich manchmal gespottet habe, wenn die Premier League wieder Rückfälle in ihre Kick-and-Rush-Zeit hatte.
Lieber Harry, Du hast es voll verdient, für den Rest des Jahres Urlaub zu machen mit Deinen vier Kindern (ja, auch da geht es mit Deinen 30 Jahren rasant schnell nach oben), die Sonne zu genießen, während sie in England sogar über Weihnachten spielen. Mit zehn Treffern bist Du auch noch Torschützenkönig des Boxing Days, des zweiten Weihnachtsfeiertags, an dem die Engländer traditionell dem Ball nachjagen, weil sie es zu Hause nicht mehr aushalten. Am Donnerstag hättest Du mit Tottenham nach Brighton reisen müssen. Okay, es gibt in England noch viel hässlichere Flecken als diesen Badeort an der Südküste. Doch auch am Strand von Brighton jagt man im Winter nicht mal einen Hund vor die Tür, fast alles hat geschlossen, es sieht aus wie in einer Geisterstadt.
Dass Du auch noch ein feiner Kerl bist, Harry, ein Führungsspieler, der sich nicht zu schade ist, den Ball auch aus dem eigenen Strafraum zu köpfen, einer, der sogar lange Pässe an den Mann bringt, macht Dich fast rundum komplett. Du hast nur einen Fehler - dass Du Kapitän der englischen Nationalmannschaft bist (62 Treffer in 89 Spielen). Was könnten sie beim DFB einen Spieler wie Dich gut brauchen. Leider gibt es keine Lösung, die es erlauben würde, dass Du irgendwann mal für Deutschland spielst.
Und da sind wir beim größten Problem des deutschen Fußballs. Auch wenn sich die deutschen Klubs – Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen – in den internationalen Wettbewerben fast noch besser geschlagen haben als die englischen, geht es mit der Nationalmannschaft im freien Fall bergab. Düstere Aussichten für die WM 2024 im eigenen Lande. Was Berti Vogts nicht ruhen lässt, den Bundestrainer, der 1996 als letzter Deutscher den EM-Titel gewann. Zuletzt hatte Vogts in Sport-Bild kritisiert, der junge Bundestrainer Julian Nagelsmann wäre besser als Co-Trainer des erfahrenen Rudi Völler aufgehoben. „Das hängt auch mit der Trainerausbildung zusammen“, klagte mir Vogts, der am Samstag, den 30. Dezember seinen 77. Geburtstag feiert. „Manchen Trainern merkt man an, dass sie nie gegen einen Ball getreten haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass Bayer Leverkusen Tabellenführer ist. Die Spieler gucken nach oben, wenn ihr Trainer Xabi Alonso etwa zu sagen hat. Es ist schade um den Fußballsport in unserem Lande, wenn so ein großes Fest wie die EM vor der Tür steht. Es wird nicht einfach. Es sei denn, sie holen Jürgen Klopp oder so einen.“
Starke Worte eines meinungsstarken Mannes. Klopp vom FC Liverpool bei der EM auf der deutschen Bank? So weit wird es nicht kommen. Klopp stammt aus der Mainzer Schule, spielte dort in der 2. Liga, 235 Spiele immerhin, ehe er Trainer wurde. Scheint eine gute Schule zu sein. Thomas Tuchel war in Mainz fünf Jahre lang Trainer. „Auch den lasse ich noch gelten“, sagt Vogts. „Er ist einer der besten in Deutschland. So einfach ist das nicht in München. Bayern ist der härteste Job, den man haben kann.“
Ja, lieber Harry. Ein Trainerfuchs wie Tuchel, der notfalls auch einen Abwehrspieler mehr aufs Feld schickt – das macht Dir Hoffnung, dass Du nach 317 titellosen Spielen mit Tottenham Hotspur, trotz Deiner 213 Tore, endlich eine Meisterschale zum Himmel recken darfst. Ich glaube, es gibt kaum einen, der Dir das nicht gönnt. Wobei der Henkelpott für den Champions-League-Sieg die noch bessere Alternative wäre.
Sport Bild
Warum ich mich bei Kane entschuldigen muss
„Meine Bayern“ heißt die Kolumne von SPORT BILD-Reporter-Legende Raimund Hinko, die sich mit dem deutschen Rekordmeister befasst. Hinko begleitet den FC Bayern seit Jahrzehnten.
Lieber Harry Kane,
nun muss ich zuallererst raus mit der Sprache. Ich bilde mir grundsätzlich ein, einen Fußballer schon nach zwei, drei Ballkontakten beurteilen zu können. Ich war und bin Fan von leichtfüßig dribbelnden Spielern, die den Ball nicht quälen, sondern streicheln, Fußballer vom Typ Mehmet Scholl, Kaká, Lionel Messi oder Jamal Musiala. Dich, das muss ich offen zugeben, habe ich in Deiner Zeit bei Tottenham Hotspur zur Sorte der Ball-Quäler gezählt. Dafür muss ich mich, sorry, sorry lieber Harry, gleich doppelt und dreifach entschuldigen, mich stattdessen tief verbeugen.
Du hast es nach Deinem sensationellen Einstand mit unglaublichen 21 Toren in den 15 Hinrundenspielen der Bayern geschafft, in die Herzen der deutschen Fans zu stürmen. Du bist auf bestem Wege, den Rekord der legendären Bayern-Torjäger Gerd Müller aus der Saison 1971/72 mit 40 Toren und Robert Lewandowski mit 41 aus der Saison 2020/21 zu pulverisieren. Und Du bist nicht nur der Mann, der den Ball aus zwei, drei Metern über die Linie drückt. Gegen Darmstadt hast Du von der Mittellinie getroffen, zuletzt in Wolfsburg den Ball aus 18 Metern in den Winkel gezirkelt. Also von wegen nur Tore, die auch meine Oma machen würde, wie ich manchmal gespottet habe, wenn die Premier League wieder Rückfälle in ihre Kick-and-Rush-Zeit hatte.
Lieber Harry, Du hast es voll verdient, für den Rest des Jahres Urlaub zu machen mit Deinen vier Kindern (ja, auch da geht es mit Deinen 30 Jahren rasant schnell nach oben), die Sonne zu genießen, während sie in England sogar über Weihnachten spielen. Mit zehn Treffern bist Du auch noch Torschützenkönig des Boxing Days, des zweiten Weihnachtsfeiertags, an dem die Engländer traditionell dem Ball nachjagen, weil sie es zu Hause nicht mehr aushalten. Am Donnerstag hättest Du mit Tottenham nach Brighton reisen müssen. Okay, es gibt in England noch viel hässlichere Flecken als diesen Badeort an der Südküste. Doch auch am Strand von Brighton jagt man im Winter nicht mal einen Hund vor die Tür, fast alles hat geschlossen, es sieht aus wie in einer Geisterstadt.
Dass Du auch noch ein feiner Kerl bist, Harry, ein Führungsspieler, der sich nicht zu schade ist, den Ball auch aus dem eigenen Strafraum zu köpfen, einer, der sogar lange Pässe an den Mann bringt, macht Dich fast rundum komplett. Du hast nur einen Fehler - dass Du Kapitän der englischen Nationalmannschaft bist (62 Treffer in 89 Spielen). Was könnten sie beim DFB einen Spieler wie Dich gut brauchen. Leider gibt es keine Lösung, die es erlauben würde, dass Du irgendwann mal für Deutschland spielst.
Und da sind wir beim größten Problem des deutschen Fußballs. Auch wenn sich die deutschen Klubs – Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen – in den internationalen Wettbewerben fast noch besser geschlagen haben als die englischen, geht es mit der Nationalmannschaft im freien Fall bergab. Düstere Aussichten für die WM 2024 im eigenen Lande. Was Berti Vogts nicht ruhen lässt, den Bundestrainer, der 1996 als letzter Deutscher den EM-Titel gewann. Zuletzt hatte Vogts in Sport-Bild kritisiert, der junge Bundestrainer Julian Nagelsmann wäre besser als Co-Trainer des erfahrenen Rudi Völler aufgehoben. „Das hängt auch mit der Trainerausbildung zusammen“, klagte mir Vogts, der am Samstag, den 30. Dezember seinen 77. Geburtstag feiert. „Manchen Trainern merkt man an, dass sie nie gegen einen Ball getreten haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass Bayer Leverkusen Tabellenführer ist. Die Spieler gucken nach oben, wenn ihr Trainer Xabi Alonso etwa zu sagen hat. Es ist schade um den Fußballsport in unserem Lande, wenn so ein großes Fest wie die EM vor der Tür steht. Es wird nicht einfach. Es sei denn, sie holen Jürgen Klopp oder so einen.“
Starke Worte eines meinungsstarken Mannes. Klopp vom FC Liverpool bei der EM auf der deutschen Bank? So weit wird es nicht kommen. Klopp stammt aus der Mainzer Schule, spielte dort in der 2. Liga, 235 Spiele immerhin, ehe er Trainer wurde. Scheint eine gute Schule zu sein. Thomas Tuchel war in Mainz fünf Jahre lang Trainer. „Auch den lasse ich noch gelten“, sagt Vogts. „Er ist einer der besten in Deutschland. So einfach ist das nicht in München. Bayern ist der härteste Job, den man haben kann.“
Ja, lieber Harry. Ein Trainerfuchs wie Tuchel, der notfalls auch einen Abwehrspieler mehr aufs Feld schickt – das macht Dir Hoffnung, dass Du nach 317 titellosen Spielen mit Tottenham Hotspur, trotz Deiner 213 Tore, endlich eine Meisterschale zum Himmel recken darfst. Ich glaube, es gibt kaum einen, der Dir das nicht gönnt. Wobei der Henkelpott für den Champions-League-Sieg die noch bessere Alternative wäre.
Sport Bild